Der Expertendialog bestätigte die besondere Bedeutung der Selbsthilfe als festen Bestandteil im Hilfeangebot für Menschen mit Depression und Angsterkrankungen:
Angesichts der enormen Zunahme von depressiven Hilfesuchenden war es das Ziel der Veranstaltung zu klären, wie die Laienhilfe und Betroffenenperspektive ergänzen, welche fachlichen Ansätze und Hilfekonzepte sie haben und welche Unterstützung die beiden Seiten sich geben können. Besonders anschaulich konnten die Mitglieder aus Selbsthilfegruppen zeigen, dass sie in sehr unterschiedlichen Formen der Gruppenarbeit einen eigenen Beitrag zur Krankheitsbewältigung leisten können. Als Laien und Betroffene sind sie in der Lage, sehr konkrete ergänzende Hilfe zu leisten, die eine klinische, therapeutische oder temporäre professionelle Intervention nicht bieten kann :
- kontinuierliche wechselseitige Unterstützung im Alltag bis in die private Sphäre
- Stabilisierung in den wechselnden Stimmungsphasen durch die Tatsache, dass die Mitglieder eine Gruppe meist zeitversetzt in krisenhaften oder stabileren Phasen ihrer Krankheit sind und sich dann abwechselnd stützen und „tragen“ können
- Therapeutische Wirkung der Tatsache, für andere eine Bedeutung zu haben
- Austausch über Erfahrungen mit fachlicher Hilfe und Medikamenten
- Lernfeld für die Übernahme von Selbstverantwortung
- Sich Wiedererkennen im Gegenüber und Aufhebung der Isolation
- Die besonderen Formen der Zusammenarbeit von Angehörigen und Betroffenen in Selbsthilfe
Auffällig war, dass viele Gruppen über einen langen Zeitraum bestehen und die Betroffenen offensichtlich Wege finden, das Erfahrungswissen immer wieder auch an andere, neue Mitglieder weiterzugeben und damit einen „Generationenwechsel“ zu gewährleisten. Eine besondere Rolle übernehmen in den Gruppen die Kontaktpersonen, die sich selber oft auch Gruppenleiter/in nennen. In der überwiegenden Mehrzahl sind dies aber keine Fachleute (Therapeuten, Sozialarbeiter/innen), sondern erfahre Betroffene.
Für die Stabilität der Gruppe ist die Unterstützung der Kontaktpersonen daher sehr wichtig. Diese Aufgabe übernehmen die Berliner Selbsthilfekontaktstellen mit eigenen Fortbildungsangeboten.
Deutlich wurde bei dem Dialog, dass Selbsthilfe auch von den Fachleuten als wichtiger Baustein der Versorgung von Menschen mit Depression angesehen wird. Von beiden Seiten wurde der Wunsch bekräftigt, das Wissen übereinander zu vertiefen. Dies soll durch Veranstaltungen von SEKIS gewährleistet werden:
- Supervisionsangebote für Kontaktpersonen in Selbsthilfegruppen für Menschen mit Depression
- Regelmäßige Informationsangebote über die Hilfemöglichkeiten im Bereich der Psychiatrie, der psychosomatischen Medizin, der Therapeutischen und psychologischen Versorgung und im Feld der sozialen Dienste
- Möglichkeiten der Gesundheitsförderung und Prävention (z.B. Vorstellung der Wirkungsmechanismen von Bewegung und Depression am Beispiel der Lauftrainings)
- Neue Formen der Zusammenarbeit im Berliner Bündnis gegen Depression
Auch die Selbsthilfe will ihre eigenen Vernetzungsformen intensivieren und ein Selbsthilfenetzwerk Berlin-Brandenburg gründen.
Der SEKIS Expertendialog war aber auch eine Gelegenheit dafür, auf zahlreiche fachliche Defizite in der Hilfe für Menschen mit Depression und Angsterkrankungen hinzuweisen:
- Unzureichende Angebote einer integrierten Versorgung zwischen stationären Angeboten in der Psychiatrie und der ambulanten Hilfe
- Fehlende Informationen über therapeutische Hilfeangebote
- Fehlende Unterstützung bei der Suche nach angemessener therapeutischer oder tagesstrukturierender Hilfe
- die unzureichende Finanzierung der Psychotherapie von Betroffenen mit seelischen Erkrankungen
- fehlende finanzielle, rechtliche und soziale Gleichstellung psychisch Kranker mit somatisch Kranken
- die Notwendigkeit von ausreichenden Möglichkeiten nicht-stationärer Krisenintervention und Krisenbegleitung sowie aufsuchende Dienste in allen Bezirken
- die Entwicklung externer betroffenen- und angehörigenkontrollierter Qualitäts- und Bewertungskriterien